Interview von Matthias Imhof, Sandro Pfister, Adrian Wyss mit Ines Grämiger zum Thema:
„Träumen – der Schlüssel zu einer anderen Welt“
(sprachlich von der Interviewten hier etwas bereinigt und geschönt sowie ergänzt)
Wir arbeiten in unserer Ausbildung zum IT-System Engineer im Fach Allgemeinbildung an einer Vertiefungsarbeit zum Thema „Träumen – Der Schlüssel zu einer anderen Welt“. Um mehr über das Thema zu erfahren und eine tiefere Einsicht in die Welt der Träume zu erhalten, führen wir ein Interview mit der Psychologin, Psychotherapeutin und Traum-Expertin Ines Grämiger durch.
Interview vom 26.11. 2014 in der Praxis von I. Grämiger
Wie wir wissen, gehört die Traumdeutung zu einem Ihrer Bereiche in der Psychologie. Wie kamen Sie zum Traumdeuten?
Neben der Psychologie an der Universität Zürich (mit Abschluss lic.phil.I) habe ich auch die Tiefenpsychologie der Schicksalsanalyse als Studentin am Szondi-Institut studiert.
In allen tiefenpsychologischen Richtungen, das heisst nach Freud, nach Adler, nach Jung und nach Szondi gehört eine Traumdeutung zum Handwerk. Wenn jemand eine Psychoanalyse macht, arbeiten fast alle Richtungen mit Erlebnissen aus dem Alltag, mit Therapie, mit Symptomen, aber immer auch mit Träumen. Es gehörte also zu meiner Ausbildung.
Ich persönlich habe schon als Gymnasiastin in St. Gallen am Gymnasium mit der Traumdeutung Bekanntschaft gemacht durch die Lektüre von Ernst Aepplis Buch „Der Traum und seine Deutung“. Aeppli hat ein gutes und einfaches, auch für Laien verständliches Buch über Traumdeutung geschrieben und dieses hat mich schon damals fasziniert.
Ich selbst habe nach meinem Studium als Dozentin an der HAP (Hochschule für Angewandte Psychologie, ZH) und am Szondi-Institut (ZH) und als Gründerin meines Instituts ISCHAP (Institut für interdisziplinäre Schicksalspsychologie, ZH) einen zusätzlichen Akzent auf eine spezifisch „schicksalspsychologische Traumdeutungs-Technik“ gelegt, welche neben den klassischen Deutungsmethoden der Tiefenpsychologie noch die Bedürfnisse, welche in einem Traum befriedigt werden, analysiert.
In jedem Traum werden nämlich je wieder andere Bedürfnisse ausgelebt.
Was benötigen Sie, um einen Traum deuten zu können?
1. Als erstes brauche ich diejenige Person, die geträumt hat. Denn diese muss mir selber den Traum mündlich erzählen. Ein schriftlicher Bericht wäre schon eine Verfälschung und nur noch beschränkt brauchbar. Ich benötige nämlich nicht nur den Inhalt des Traumes, sondern auch die Traumerzählung, das heisst den Erzählton, die Wahrnehmung eines Zögerns, eines Stolperns, eines Verhaspeln usw. Alle diese sekundären Beobachtungen muss ich später in die Traumdeutung einbinden.
Im Eiltempo notiere ich dabei die Traumerzählung des Klienten, damit ich den Trauminhalt möglichst im Reintext besitze und jederzeit fast im Wortlaut auf ihn zurückgreifen kann. Jede Wortwahl ist wichtig und bedeutsam.
2. Als zweites brauche ich etwas ganz Wichtiges, welches in der Laien-Traumdeuterei meist total vergessen wird, und zwar: die Assoziationen des Träumenden zu seinem Traum.
Zum Beispiel wenn jemand von einer Wiese träumt, frage ich: „Was fällt Ihnen zu dieser Wiese ein?“, „Was bedeutet diese Wiese für dich?“, „Woran erinnert Sie diese Wiese?“ oder „Wie sieht diese Wiese aus?“
So kommen ganz viele Ergänzungen zur ersten Traumschilderung hinzu. Es wird viel bunter, vielschichtiger, tiefgründiger und weitet sich aus.
Plötzlich hat die Wiese Blumen, plötzlich kann man sie riechen. Alle diese Dinge hat der Träumer vorher nicht erzählt.
Ich frage nicht nur nach sämtlichen vorkommenden Menschen und Gegenständen, sondern auch nach Gefühlen. Sehr häufig gehen Gefühle vergessen. Der Traumerzähler, der mir nur die Fakten liefert, vergisst meistens seinen eigenen Gefühlszustand zu beschreiben und den erfrage ich aktiv.
Aus der Jungschen Psychologie stammt dann die Technik der erweiterten Assoziationen, bei der auch andere Leute, welche die Traumerzählung hören (wie die Therapeuten, Mitglieder einer Traumdeutungs-Gruppe usw.), ihre Assoziationen beisteuern.
Es kann überhaupt sehr wichtig sein, sich Träume zu erzählen. Nur schon das Erzählen kann heilen. Die Indianer pflegen diese Technik in gewissen Gebieten seit Jahrhunderten: es gehört zu ihrem morgendlichen Ritual, sich im Kreise die Träume der Nacht zu erzählen!
3. In einem dritten Schritt dann erfolgt eine gemeinsame, dialogische Deutungsarbeit. Ich deute nicht alleine den Traum. Dies sind falsche „Kochbuchdeutungen“, wenn jemand sagt: „Ich deute dir den Traum“, nur anhand des Trauminhaltes ohne Assoziationen. Das ist eigentlich verboten und nicht professionell.
Und auf diese Art kann eine Traumdeutung von einer bis drei Stunden dauern. Es kommt drauf an, was alles an Assoziationen auftaucht. Es kommen Bezüge, was der Traum sagen will oder was es mit der Gegenwart zu tun hat und so weiter. Da wird dann dialogisch weiter diskutiert, bis wir auch den tieferen Sinn des Traumes verstehen.
Darüber hinaus wird z. B. auch die Qualität und der Fluss von Energien im Raum beachtet (steigt etwas hoch, fällt etwas. Bewegt sich etwas von links nach rechts oder umgekehrt?), das Vorkommen von Elementen (Wasser, Feuer, Luft, Erde) verfolgt, die Interaktionen von Menschen, das Vorkommen bestimmter Formen (runde Formen, eckige, spitze Formen, geschlossene oder offene Räume etc.)
Wie meinen Sie: verboten?
In der Tiefenpsychologie sagt man, dass ein Traum ohne den Träumer mit seinen Assoziationen nicht gedeutet werden kann und darf – weil man dann buchstäblich „danebenhauen“ kann. Man füllt dann die fehlenden Informationen mit eigenen Projektionen auf.
Wie soll ich eine Wiese deuten? Es gibt kein Kochrezept, was eine Wiese bedeutet. Sicher kann man sagen, es ist Natur. Aber das ist auch alles. Eine Wiese ist zwar in der Regel für den Menschen etwas Schönes. Aber es kann sein, dass eine Wiese für einen Mensch eine Katastrophe bedeutet, weil er zum Beispiel auf einer Wiese vergewaltigt wurde. Und dann ist es nicht mehr Natur und Schönheit, sondern ganz etwas anderes, etwas Tragisches und Traumatisches.
Deshalb lehnte ich bisher die vielen telefonischen Anfragen von Zeitschriften ab, eine Traumdeutung eines geschriebenen Traumes ohne den Träumer zu machen (eine Traumdeutung, aber samt Träumer/in und deren Assoziationen hingegen wurde bereits veröffentlicht und ist auch auf meiner website aufgeschaltet).
Gibt es das auch, dass man an diesem Ort schon mal war, also dass es eine Erinnerung ist?
Ja sicher, es kann zum Beispiel die Wiese hinter dem Haus der Eltern sein. So kommt plötzlich eine ganze Lebensgeschichte hinzu und danach weiss ich, dass diese Wiese etwas mit der Kindheit zu tun hat. Dann muss ich dann genauer hinschauen, ob der Traum immer in dieser vergangenen Zeit spielt.
Ich habe nachgelesen, dass es teilweise auch wichtig ist, ob man einen Traum aus der aktiven oder passiven Seite miterlebt, spielt dies eine Rolle?
Ja, jedes Element, das im Traum auftaucht, wird gedeutet, jede Haltung, jede Aktion, jedes Wort.
Also wenn jetzt jemand im Traum als Träumer eine Aktion nur von aussen beobachtet, nur danebensteht und nichts anderes tut, dann wird diese Beobachterposition als wichtig herausgearbeitet und gedeutet. Der Träumer erwähnt ev. darauf, dass er im Leben immer eher ein Beobachter sei, womit schon klar wird, dass der Traum einen typischen Charakterzug verrät.
Dann erübrigt sich wohl die Frage, ob unsere Träume ein Teil unserer Vergangenheit oder Zukunft wiederspiegeln?
Ich kann schon noch etwas Ergänzendes dazu sagen: Welche Teile zur Vergangenheit gehören, wird der Klient mir in seinen Assoziationen mitteilen.
Da geht er vielleicht zurück in seine frühe Lebensgeschichte. Daneben haben aber auch alle Träume einen Zukunftsaspekt, indem sie auf neue Möglichkeiten hinweisen, vielleicht beinahe Ratschläge für die Zukunft erteilen, wenn sie gedeutet werden.
Zum Beispiel, wenn dieser beobachtende Mensch plötzlich am Ende des Traums doch noch eingreift und aktiv wird, dann kann man vielleicht sagen, dass der Traum ev. darauf hinweist, dass er aktiver werden solle im Leben, dass er die reine Beobachterrolle verlassen solle.. Es kann sein, dass diese Einsicht als Essenz und Zukunftshinweis aus dem Traum resultiert – und dann meist direkt auf eine aktuelle Situation in der Gegenwart angewandt werden kann und muss.
Während er träumt, merkt der Träumer nicht, dass der Traum bereits Ratschläge und Lösungsansätze für ein aktuelles Problem der Gegenwart gibt, weil er dieses im Traum selbst nicht anspricht. Aber in den Assoziationen zur Gegenwart, der Anwendung der Traumratschläge auf das Jetzt erfolgt das plötzliche Aha-Erlebnis.
Aha – vielleicht sollte ich ja nun auch aktiver werden in einem Problem am Arbeitsplatz, sollte meinen Chef direkt deswegen angehen, statt einfach in der Beobachterrolle zu verharren!
Das wäre dann die lösungsorientierte Seite der Traumdeutung.
Zu Ihrer Frage nach der Zeitlichkeit, kann man zusammenfassen sagen: der Traum führt uns stets aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Er enthält also die gesamte Zeitdimension – wenn man ihn dynamisch deutet.
Wie wirken sich Träume auf unser Leben aus?
Die Träume wirken sich zumeist einmal unmittelbar auf die Tages-Stimmung aus.
Wenn jemand zum Beispiel einen glückhaften Traum hat, erwacht er schon mit diesem Glücksgefühl und dieses begleitet ihn manchmal stundenlang durch den Tag. Genauso ist es bei Albträumen, wenn man eher beschwert erwacht. Dann fängt man oft darüber nachzudenken, woher diese Schwere oder diese Bedrohung stammt. Diese Stimmung kann einen dann viele Stunden diesen Tages begleiten.
Es kann auch ein heiterer Traum sein, ein trauriger oder ein angsterregender. Die Stimmung bleibt genau bei dem Gefühl des Traumes oder des Erwachens. Manchmal aber schlägt auch die Stimmung um nach dem Erwachen, wenn man den Traum zu deuten beginnt und man seinen hilfreichen Sinn entdeckt.
Träume beeinflussen aber nicht nur unsere Stimmungen sondern sie wirken auch bewusstseinserweiternd, klärend, hilfreich, lösungsorientiert und sind der Weg (via regia) zu unserem Unbewussten.
Sie konfrontieren uns nicht nur mit unseren bewussten Wünschen, unserem Charakter sondern auch mit abgespaltenen, abgewehrten Seiten, das heisst mit unseren eigenen Gefahren, unserem „Tiger im Keller“.
Gottseidank aber zeigen sie uns nicht nur die problematischen Aspekte auf, sondern auch unbewusste Begabungen und Potentiale!
Welchen Einfluss hat die Stimmung auf den Traum?
Wenn Sie in einer gewissen Stimmung am Abend einschlafen, dann kann es sein, dass diese Stimmung als Tagesrest in den Traum übernommen wird.
Kann sich eine traurige Stimmung beim Einschlafen positiv verändern?
Das gibt es auch, Träume, die helfen, Schwieriges kompensieren oder heilen. Sie lösen dann vielleicht eine Traurigkeit auf und führen in etwas Hoffnungsvolles hinein.
Wir haben noch eine Frage zu ihren Klienten: Haben Sie eher solche, die oft gut träumen oder eher schlecht Träumende?
Das kann kaum ausgezählt werden. Das hängt vom Charakter des einzelnen ab oder von seiner momentanen Lebenslage. Wenn jemand in einer starken Krise zu mir kommt, ist es klar, dass er meist viele schwere Träume hat und vielleicht nur wenige Glückträume, die ihm raushelfen. Träume sind oft ein Spiegel unseres Charakters, unserer Reife oder unseres Entwicklungszustandes. Aber sie können auch als visionen-bildend wirken.
Ausserdem gibt es auch Lehrträume, bei denen der Traum quasi als Lehrer fungiert:
Es gibt Menschen, die sagen, sie würden von der geistigen Welt richtiggehend unterrichtet in ihren Träumen. Es können dann spirituelle Meister und Lehrer auftreten, welche uns führen und leiten und viel weiser sind als unser Bewusstsein.
Spirituelle Menschen sagen häufig, dass in der Traumwelt nicht nur wir mit unserem Bewussten und Unbewussten involviert sind, sondern dass wir mit der gesamten Welt, mit dem Kosmos und mit spirituellen Meistern, wie z.B. Meister Eckehart, verbunden sind. Da kommt neben der psychologischen Ebene dann auch die spirituelle hinzu.
Warum ist es wichtig zu träumen? Was würde passieren, wenn wir nicht träumen?
Es wurden wissenschaftliche Forschungen mit Schlafexperimenten gemacht.
Man hat einerseits mit Schlafentzug experimentiert und andererseits mit Traumentzug. Dabei hat man die Hirnaktivitäten gemessen und die einzelnen Schlafphasen beobachtet.
Im Experiment wurden die Personen immer wieder im Träumen gestört und unterbrochen, in der so-genannten REM Phase (mit starken Augenbewegungen) geweckt. Nach kurzer Zeit musste das Experiment abgebrochen werden, da die Probanden wegen des Traum-Entzuges extrem aggressiv wurden und manche beinahe durchdrehten, also auf dem Weg waren, psychiatrisch zu erkranken.
Das heisst, wir brauchen Träume, um gesund zu bleiben und nicht zu aggressiv zu werden.
Wir können uns nämlich im Traum abreagieren, dürfen dort unglaublich viele Bedürfnisse ausleben wie nie im Alltag – ohne dass jemand zu Schaden kommt. Der Traum ist ein enormes Ventil für sonst nicht auslebbare Impulse.
Im sozialen Leben unseres bewussten Alltagslebens müssen wir zum Beispiel unsere Aggressionen, unsere Wut, Rache, unsere Tötungsimpulse kontrollieren und dürfen diese nicht 1:1 ausleben.
Anders im Traum: im Traum dürfen wir uns alles erlauben ohne jemanden zu schädigen, denn im Traum und im Schlaf wird die Motorik gelähmt und die Phantasien werden nicht in Handlungen umgesetzt. In unseren Träumen ist das Unbewusste der Regisseur und er darf grenzenlos machen, was er will!
Inwiefern spiegeln Träume unsere menschliche Psyche wieder?
Die Träume geben den Charakter unserer Persönlichkeit wieder, aber auch unsere momentane Befindlichkeit oder die Thematik, mit der wir uns gerade beschäftigen. Es gibt Menschen, die haben unglaublich reiche, raffinierte und verrückte Träume, andere eher gewöhnlichere, langweiligere – was dann in der Regel ihren Charakter wiederspiegelt.
Stellt man sich in einem Traum besser da?
Das wäre vielleicht vor allem bei einem Menschen der Fall, der so einen Wunsch auch im Alltag immer wieder hat. Andererseits kann dies jedem passieren, da ja der Traum auch eine wunscherfüllende Funktion haben kann. Man kann im Traum der sein, der man nicht ist und alles erreichen, was man möchte!
Angenommen, ein Mensch träumt immer wieder von Straftaten. Ist die Wahrscheinlichkeit dann gross, dass dieser kriminell wird, oder ist das für ihn mehr eine Möglichkeit, dem Ganzen zu entfliehen?
Es ist beides möglich. Wir können einerseits von kriminellen Taten träumen, unser Böses darin ausleben – und es reicht damit. Der Traum kann dann wie ein Schutz sein, indem man seine Fantasien auslebt und damit ist es abgeschlossen und erledigt und man geht wieder sanfter und gelassener in den Alltag. Es kann aber auch genau das Gegenteil der Fall sein, sodass jemand seine kriminellen Handlungen bereits im Traum zu planen beginnt.
Es gibt aber gemäss der Schicksalspsychologie auch noch eine weitere Möglichkeit bei kriminellen Trauminhalten: es kann sein, dass in unserem Stammbaum eine kriminelle Belastung vorhanden ist.
Vielleicht sind dort gewisse kriminelle Vorfahre (mit Diebstählen, Tötungsdelikten oder sonstige Straftaten) auszumachen.
So kann es geschehen, dass wir wegen der erblichen Belastung von Straftaten träumen, der Traum uns auf diese hinweisen will, damit wir uns bewusster damit auseinandersetzen:
Die Schicksalspsychologie sagt, dass man gefährliche Strebungen man transformieren soll, indem eine verwandte, aber soziale Tätigkeit ausgeübt wird.
Dann reicht es ev. nicht, nur im Traum davon träumen, sondern man sollte sich in der Berufswahl oder im Hobby auf diesen Bereich einlassen – aber auf der sozialen Seite bleiben.
Ein Beispiel wäre, dass der Schicksalspsychologe jemandem mit einer kriminellen Belastung im Stammbaum und wiederholten kriminellen Trauminhalten z. B. empfiehlt, er soll zur Polizei gehen oder im Gericht oder Gefängnis arbeiten: dann hat er mit Kriminellen zu tun – aber er ist auf der sozialen Seite.
Es gibt immer wieder Berufe, welche eine asoziale Form des Auslebens eines Bedürfnisses „abwehren“ können. Dasselbe gilt auch für den Feuerwehrmann, der so seine pyromane Seite ausleben kann.
Ist das vom Stammbaum genetisch oder psychisch?
Wenn man eine Schicksalsanalyse seines eigenen Lebens macht, muss man die Berufe, die Krankheiten und die kriminellen Taten aller Familienangehörigen beachten.
Ein Teil der eigenen Prägung kann genetisch bedingt sein, ein anderer ist psychologische Familientradition, ein weiterer ureigene Individualität.
Aber wieviel Prozent diese Aspekte jeweils ausmachen, kann man niemals genau bestimmen, nur interpolieren aufgrund der gesamten Familiendynamik.
Wir kennen alle Albträume. Deuten Sie ebenfalls solche Träume? Gibt es irgendwo Grenzen?
Nein, es darf beim professionellen Traumdeuten keine Grenzen geben. Der Tiefenpsychologe muss alle Träume deuten und kann nicht auswählen, ob ihm ein Traum gefällt oder nicht, denn er muss ja helfen. Er kann den Klienten nicht fortschicken, wenn ihm der Traum Angst macht. Es sollte nicht vorkommen, dass ein Therapeut eine solche Angst bekommt vor Träumen, dass er die Deutung verweigert und den Ratsuchenden fortschickt.
Gab es bei Ihnen noch nie einen Fall wo Sie erschreckt waren und nicht mehr weiter wussten?
Erschreckt vielleicht schon. Aber dann ist es vielleicht gerade auch wichtig, dass ich an diesem Erschrecken des Träumers teilnehme, mit denselben Gefühlen wie er darauf reagiere.
Ich frage den Klienten zuerst nach seinen Gefühlen, die der Traum auslöst, aber ich kann ihm im gemeinsamen Dialog auch meine Gefühle zum Traum mitteilen und wie der Traum auf mich wirkt. Aber das gehört dann schon zur Deutung. Ich darf ihm zum Beispiel sagen, dass es ein unglaublich angstmachender Traum ist, aber das heisst nicht, dass ich abbreche und aufhöre zu deuten, sondern ich führe den Klienten weiter. Jetzt müssen wir die Angst bearbeiten. Ich bleibe immer beim Klienten und nehme ihn bei der Hand. Dafür bin ich ja da.
Deshalb sollte ein Traumdeutender immer auch Therapeut sein. Wenn jemand nur Träume deutet, ohne Therapieerfahrung, kann er rasch überfordert sein und sollte den Klienten weiterverweisen an einen richtigen Therapeuten.
Haben Sie schon mal Träume übernommen?
Sehr selten und nie als ganzen Traum. Als mein persönlicher Tagesrest kann zwar schon einmal ein kleines Traumelement eines meiner Klienten in meinem eigenen Traum vorkommen. Es könnte nun sein, dass zum Beispiel auf einmal diese Wiese von besagtem Klienten in meinem Traum erscheint. Aber danach läuft im Traum und vor allem in den Assoziationen zu dieser Wiese alles anders weiter, nach meinem eigenen System, gemäss meinen eigenen Unbewussten.
Wie merken Sie sich Ihre eigenen Träume? Haben Sie da eine spezielle Technik?
Es gibt die Technik, den Traum sofort beim Erwachen zu notieren – weil, wenn man wieder einschläft, gehen oft grosse Teile verloren. Wer das macht, kann so ein Traumtagebuch führen. Das kann für eine Zeit lang sehr interessant sein. Aber damit hört man meist mit den Jahren auf, da dabei so viel Material zusammenkommt, dass man es nicht mehr liest. Deshalb schrieb ich mir mit den Jahren nur noch die besonders eindrücklichen Träume auf.
Wie läuft eine solche Traumdeutung ab?
Meistens fordere ich den Klienten auf, sich auf meine Analyse-Couch hinzulegen, sodass er mich nicht anschaut – und ich sitze hinter ihm um ihn nicht zu stören oder abzulenken durch Blickkontakte usw. Dann soll er einfach den Traum in Ruhe erzählen. Ich sage meistens, dass der Traum nicht vorgelesen werden soll. Das Traumerzählen ist dabei nicht genau identisch mit dem Träumen. Es kommt häufig vor, dass während der Erzählung einzelne Teile vergessen werden, die ev. erst später bei den Assoziationen wieder auftauchen. Alle diese Phänomene sind enorm wichtig und müssen gedeutet werden.
Als nächstes erfrage ich die Assoziationen zu den einzelnen Traumobjekten und Traumteilen. Darauf beginnen wir gemeinsam zu deuten und den Sinn des Traumes zu erkunden in einem dialogischen Gespräch.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Albträumen gemacht?
Die Albträume zeigen mir oder dem Träumenden, dass irgendetwas mit extremer Angst beladen ist und es geht eigentlich darum, herauszufinden, was diese Angst im Traum bedeutet. Meistens kommt man bei Albträumen generell auf das Thema ängste zu sprechen, im Alltag oder in der Vergangenheit oder betreffend Zukunft.
Es kann auch sein, dass Albträume einen auf Gefahren hinweisen, die wir zu wenig erleben und ernst nehmen. In jeder Angst ist eine Warnung verborgen und insofern kann ein Albtraum auch ein Warnzeichen sein, dass man aufpassen und vor etwas Angst kriegen sollte. Somit ist es eine Hilfe, wenn der Albtraum auf eine Gefahr hinweist, die bisher nicht bewusst war.
Eine weitere Kategorie Angstträume sind die nach einem real erlebten Trauma:
Zum Beispiel bei den Zugführern, welche jemanden überfahren haben, kommen häufig die Albträume als Wiederholung vor, sodass sie das Gesicht oder den Körper des überfahrenen immer wieder vor sich sehen im Traum.
Eine solche Katastrophe in ihren seelischen Auswirkungen kann man nur heilen, wenn man diese zu akzeptieren, dem eigenen Leben von nun an als zugehörig, anerkennen kann. Die wiederholt gleichen Träume bei denen immer wieder dasselbe Bild vorkommt, führen dazu, dass es uns trotz allen Schreckens allmählich vertrauter wird und ins eigene Leben integriert werden kann als eine ureigene Lebenserfahrung. Der Horrortraum kann dann langsam „erlöst“ werden und verschwindet zusehends.
Ich hatte einmal einen traumatisierten Menschen in Therapie, welcher immer dasselbe Horrorszenarium eine Suizids gesehen hat, bis er eines nachts den, der sich tötete, als Engel sah. Der Träumer sagte darauf, dass der Betroffene jetzt in einer anderen Welt und somit erlöst sei und dass er selbst nun selbst auch damit abschliessen könne. Das Unbewusste selbst gab ihm die Mitteilung, dass das Trauma jetzt genügend verarbeitet sei.
Was haben Todesträume zu bedeuten? Oder zum um Beispiel, wenn jemand ins Leere fällt?
Die Assoziationen und die gemeinsamen Deutungen führen uns zur Bedeutung des Todestraumes und des Fallens ins Leere.
Grundsätzlich heisst aber ein Todestraum, dass etwas zu Ende geht. Was dies im realen Leben des Träumenden sein könnte, müssen wir gemeinsam herausfinden. Meistens erschrecken die Träumer sehr über Todesträume, weil sie annehmen, dass wirklich jemand sterben werde. Dies muss aber nicht sein. öfters nämlich trifft es zu, dass ein Abschied von etwas bevorsteht.
Betreffend Ihrer zweiten Frage wegen des Fallens gibt es, neben der assoziativen Deutung, noch eine generelle Deutung der Schicksalspsychologie zum Thema „Fallen“:
Die Schicksalspsychologie hat neben dieser Traumdeutungstechnik mit Assoziieren auch noch ein zusätzliches Traumdeutungs-System: sie analysiert, welche Triebbedürfnisse in einem Traum befriedigt werden.
Die Schicksalsanalyse kennt acht bzw. sechzehn menschliche Grund-Bedürfnisse – und es gibt darunter nun ein menschliches Grundbedürfnis zu fallen, die Lust zu fallen.
Interessanterweise gibt es aber auch eine Krankheit, die mit Fallen zu tun hat: das ist die sogenannte Fallsucht, die Epilepsie. Epileptiker fallen. Das ist die einzige Krankheit, bei der jemand zu Boden fällt.
Insofern können wir von der Schicksalspsychologie her gesehen sagen: wenn jemand im Traum fällt, wird dieses (epileptifome) Bedürfnis ausgelebt.
Aus der Neurosenlehre der Epilepsie nach Sigmund Freund wissen wir, dass der epileptische Anfall eine Abwehr von Wut, Zorn und Hass, welche in einen Tötungsimpuls münden, abgewehrt wird. Aehnlich wie im Traum, wird auch hier durch die Immobilisierung (Bewegungslosigkeit) dieser Tötungsimpuls an seiner Ausführung gehindert.
Hinter dem Fallen ins Leere könnte deshalb ein unbewusster Affekt von Zorn und Wut bis Tötungsimpuls stehen – dessen Ursache wir dann suchen müssten. Vielleicht weist eine solches Fallen ins Leere ab er auch auf eine (epileptiforme) Begabung hin:
Abkömmlinge von Epileptikern können nämlich nicht nur die Erkrankungsmöglichkeit in sich tragen, ( und zur Fall-Sucht neigen) sondern auch eine besondere Begabung in der Abwehr gegen das Fallen und mithin einen besonders ausgeprägten Gleichgewichtssinn aufweisen – wie sie der Dachdecker, Trapezkünstler, der Bergsteiger, der Deltasegler etc. verraten.
Damit kämen wir nun auch auf den berufsberaterischen Aspekt der Träume zu sprechen. Schicksalsanalytiker können anhand von Träumen auch ihren Beitrag zu Berufs-, Laufbahn- und Hobbyberatung leisten.
Obige überlegungen und Ableitungen sind nun, wie Sie erkennen können, schon recht verzwickt und kompliziert und setzen viel schicksalspsychologischen Wissen, Kenntnisse von Neurosenlehre, Psychopathologie und komplexen Zusammenhängen voraus.
Unsere Zeit ist nun abgelaufen – und wir danken Ihnen für das spannende Interview und Ihre Unterstützung unserer Facharbeit.
Ich danke Ihnen für die anregenden Fragen, welche mich zu immer wieder neuen überlegungen und Aspekten führten.